Der Mann mit der Goldmedaille


Es ist jedes Mal wie ein Stich mit einer spitzen Nadel. 
Es gibt Menschen, denen begegne ich jeden Tag. Anderen nur einmal und wieder anderen kein Mal (das heisst, ich nehme sie irgendwie nicht wahr). Der Mann heute Morgen fällt mir auf, weil er schon abgebogen ist, es sich aber offensichtlich anders überlegt, zurückkommt und meine Richtung einschlägt. Kaum ist er auf meiner Höhe, streckt er seine Hand aus. Ich nehme sie und drücke sie. In meinem Gesicht liest er die Frage: „Yes, what do you want?“ Und da kommen seine Worte auch schon: „I’m looking for a job.“ Das Alter des Mannes liegt zwischen 25 und 45 Jahren, es könnte alles sein. Seine Zähne sind braun, die Kleider einigermassen sauber, aber ziemlich abgenutzt. Bevor ich etwas sagen kann, deutet er auf seinen Hals und erklärt etwas Unverständliches. Schwupps hat er seinen Rucksack ausgezogen, geöffnet, eine Warnweste ausgepackt und während ich mich noch frage, was jetzt wohl kommt, zaubert er eine Goldmedaille hervor. Das ‚Gold’ ist zwar schon arg abgegriffen, aber ich kann einwandfrei lesen: World’s Number 1. Sawa. Ich frage nicht woher, wofür oder von wem er die Auszeichnung bekommen hat. Stattdessen gratuliere ich und erkundige mich, was für eine Arbeit er denn suche. „Any job. I take any job.“ Ja. Was vermutlich auch bedeutet, dass er keine Qualifikationen mitbringt. Ich mache ein bedauerliches Gesicht: „I’m very sorry, but, I don’t have a job myself. I don’t think I can help you.“ Die Hoffnung im Gesicht stirbt, allerdings erwacht sie sogleich wieder: „So, what do you do here?“
„Well, I just run around.“
„Am I allowed to join you?“
„Sorry, I just want to run.“
„Okay. But maybe tomorrow?“
„Maybe.“
Ja, es ist jedes Mal wie ein Stich, wenn ich sie enttäusche. Sie drücken mir ihre Lebensläufe auf einem Fetzen Papier in die Hand und laden all ihre Hoffnungen auf mich. Und ich weiss, dass ich nur wieder ein weiterer Fehlschlag bin.

Tutaonana
Eure African queen
Irène

  

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