Schussbereit - 1. Leseprobe

Sie waren da. Es hatte geklappt. Augenblicklich begann ihr Puls zu rasen. Das Herz schlug so schnell und heftig, dass das Pochen von außerhalb zu kommen schien. Der Mund fühlte sich trocken an und ihr wurde übel. Oh Gott. Schüler hasteten vorbei. Rennende Füße. Schreien. Lachen. Begrüßungen. Türenschlagen. Sie stand einfach da. Wie gelähmt. Jemand rempelte sie von hinten an. „Ui, sorry.“ Um sich aufzufangen, machte sie einen Schritt nach vorne. Weitergehen. Los. Die Befehle wirkten. Mechanisch stieg sie die Treppe hoch. Da war das Klassenzimmer. Sie betrat es, setzte sich an ihren Platz. Immer noch wie in Trance. Als wäre das eine andere Person, die hier funktionierte, als würde sie sich selber zuschauen. Ihre Hände waren nass von kaltem Schweiß. Sie hatte Angst. Einige der Mitschüler waren schon da. Niemand nahm sie wahr, machte auch nur die kleinste Bemerkung. Man ließ sie in Ruhe. Und sie war froh um diese Unsichtbarkeit. Langsam packte sie ihre Sachen aus. Legte sie ordentlich vor sich auf das Pult. Jedes an seinen Platz. Automatisch. In der rechten Ecke oben das Etui mit den Stiften. Direkt vor ihr der Notizblock, rechts davon ein gespitzter Bleistift. Links die Schulbücher. Das Zimmer füllte sich. Es wurde so laut, dass man die Schulklingel leicht überhörte. Plötzlich klatschte jemand in die Hände. „Meine Damen und Herren, bitte setzen Sie sich.“ Sie hatte gar nicht bemerkt, dass der Lehrer im Raum anwesend war. Er musste noch einmal in die Hände klatschen. „Bitte, meine Damen und Herren.“ Sie atmete tief durch. Einmal. Zweimal. Dreimal. Allmählich begann sie sich zu beruhigen. Sie war sicher. Es war alles wie gewöhnlich. Das Rauschen in den Ohren ließ nach. Puls und Herzschlag normalisierten sich. Die Stunde begann und nahm ihren Lauf. So normal, wie es eben möglich war in der ersten Lektion nach fünf Wochen Sommerferien.


Irène Mürner


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